Achillessehne / Laufensport
Das Achillessehnen-Programm

Für eine entzündete Achillessehne trägt der Läufer meist selber die Schuld, nur ist sie versteckt. Unscheinbare Fehler bei Trainingsprogramm sind verantwortlich für die Achillodynie, zusammen mit einem fiesen Fehler im Warnsystem: Die Sehne schmerzt erst am Folgetag, weshalb die meisten viel zu lange einfach weiter laufen.


Das Drama um die Achillessehne entwickelt sich nach dem immer gleichen Muster. Völlig überraschend zieht die Sehne eines Tages mit Schmerzen die Aufmerksamkeit auf sich. Treffen kann es jeden, zum Beispiel den langjährigen Jogger, den wir hier auf seinem Leidensweg begleiten. Zu Beginn sind die Veränderungen nicht dramatisch, es läuft das typische „Achillessehnenprogramm“ ab: Beim Training schmerzen die ersten Schritte kurz, nach ein paar Minuten, wenn die „Betriebstemperatur“ erreicht ist, funktioniert die Sehne wieder klaglos. Die Lauffreude ist ungetrübt, undenkbar, dass eine fast schmerzfreie Laufeinheit möglicherweise für die Sehne nicht nur Balsam sein könnte. Vielleicht ist da ein Ziehen in der Sehne nach dem Training, das ist aber kaum der Rede wert. Weniger lustig ist dafür der Start in den nächsten Tag. Die ersten schlaftrunkenen Schritte ins Badezimmer sind ätzend, es wird mehr gehumpelt als gegangen. Ein Bezug zum Training vom Vortag drängt sich kaum auf, das ist ja schon so lange her. Schon beim Gang zum Frühstück ist der Spuk vorbei und übermorgen ist wieder Joggingtag. Das tägliche Training hat sich in letzter Zeit nicht mehr bewährt, alle drei Tage läuft es sich aber ganz gut.
So kann es über Monate weitergehen. Weil das Ganze irgendwann schlimmer statt besser wird, ist schliesslich die obligate Laufpause von einem Monat angesagt. Die lang ersehnte Wiederaufnahme des Trainings läuft perfekt, kaum ein Ziehen, kein morgendliches Humpeln. Doch schon nach dem dritten Training ist alles wieder beim Alten. Die weniger Geduldigen tauchen jetzt in der Sprechstunde auf, die ganz Geduldigen hoffen das Problem mit einer noch längeren Laufpause zu lösen – kaum mit mehr Erfolg.

Was läuft hier falsch? Schon der vermeintlich schicksalshafte Anfang des Leidenswegs ist meistens hausgemacht. Die Erklärung findet sich bei der Analyse der Belastungsgestaltung im Vorfeld der Sehnenentzündung. Am Beispiel unseres Läufers: Wegen einer Stressphase bei der Arbeit wurde das Lauftraining drei Monate unterbrochen und beim Neubeginn ging es natürlich mit gleichen Umfängen und gleicher Intensität wieder los. Kein Gedanke an eine Dosisanpassung wegen des Trainingverlusts während der Pause. Nicht selten kommt noch der eine oder andere Begleitfaktor dazu: Im Übermut wird der angestaute Laufhunger mit einer extralangen Strecke gestillt oder die neu gekauften, an sich passenden Schuhe überfordern Fuss und Sehen mit minimal anderen Bewegungsabläufen. Kurzum: die Sehne ist im entscheidenden Moment für die Belastung nicht adäquat vorbereitet.

Als nächstes wird das Problem unterschätzt. „Ich kann ja noch fast schmerzfrei laufen und was schmerzfrei ist, kann doch keine Sünde sein!“, mag sich der Sportler sagen. Er ist sich nicht bewusst, dass unserer Körper Schmerzen bei intensiveren Belastungen unterdrücken kann, quasi als Schutz für den Kampf ums Überleben. Mit Sicherheit würden sich all die Achillessehnenopfer rascher um das Wohl ihrer Sehnen kümmern, wenn sich die Schmerzen nicht erst am andern Morgen melden würden. So lässt sich aber noch verdrängen, was eigentlich Sache ist. Kaum zu fassen ist für die Betroffenen auch, dass die Sportpause so wenig bringt. Dank der Belastungspause kann sich zwar die Entzündungsreaktion am Sehnenansatz oder im Sehnenverlauf zurückbilden. Dummerweise fehlen in dieser Phase der Sehne aber die Trainingsreize, um die Belastbarkeit zu verbessern. Die Entzündungsverminderung wird mit einem Trainingsverlust bezahlt und so ist der Rückfall bei Wiederbeginn vorprogrammiert.

Was können wir aus diesen Beobachtungen lernen? Zum einen ist im Umgang mit lädierten Sehnen der Schmerz während der Belastung kein brauchbarer Indikator für die richtige Dosierung der Belastung. Entscheidend ist, dass auch nach dem Training und insbesondere am anderen Morgen die Schmerzen nicht zunehmen. Sonst wird der Reizzustand immer von neuem verstärkt. Zum anderen ist statt reinem Schonen ein dosierter Trainingsaufbau im weitgehend beschwerdefreien Bereich angesagt. Dabei soll für den Schmerz gelten: „Weder während, noch nach und auch nicht am anderen Tag“.

Praktisch kann das so aussehen: Aufgrund der bisherigen Erfahrungen wählt unser Läufer eine eher tiefe Probebelastung und tastet sich von Einheit zu Einheit an die aktuelle Belastbarkeitsgrenze heran. Das kann zu Beginn je nach Irritationsgrad auch mal eine Mikroeinheit von zehn Minuten alle zwei bis drei Tage bedeuten. Eine leichte Steigerung alle zwei bis drei Wochen ist in der Regel ein sinnvolles Intervall. Dieses Vorgehen ist quasi das Grundrezept und je nach Situation braucht es daneben selbstverständlich noch eine Auswahl von üblichen Behandlungsmassnahmen, von der Bürstenmassage bis zum koordinativen Aufbauprogramm. Wer allerdings früh genug reagiert, kann mit dem Grundrezept alleine die Eskalation vermeiden und über einen „partnerschaftlichen“ Umgang mit seiner Sehne wieder anhaltend Frieden schliessen.

3 Kommentare to “Achillessehne / Laufensport
Das Achillessehnen-Programm”

  1. Ute Hock schrieb:

    Hallo Herr Dr. Reich-Rutz,

    zufällig habe ich diesen Blog gefunden und ich muss sagen, ich habe mich genau darin wieder gefunden. 15 Monate laboriere ich jetzt mit meiner lädierten Achillessehne, bzw. Tibialos posterior rum und nichts wird besser.

    Immer wieder falle ich in eine neue Falle. Trainingspause, neuer Anfang mit steigender Belastung und dann wieder der Rückfall.

    Ich muss mich dringend mal mit Ihnen in Verbindung setzen.

    Es scheint, als hätte ich jetzt den entscheidenden Hinweis gefunden mit dieser Seite und evtl. ihrer Hilfe.

    mfg Ute Hock

  2. creich schrieb:

    Guten Tab Frau Hock
    Danke für Ihre Rückmeldung. Zur Vertiefung der Zusammenhänge rund um überlastete Sehnen, empfehle ich Ihnen zudem die Lektüre der beiden Blogbeiträge zum Tennisellbogen. Das Prinzip, wie es dort geschildert ist, lässt sich auf die Achillessehnenentzündung übertragen, speziell die Überlegungen zum Bankkontomodell.
    Viele Grüsse
    Christoph Reich

  3. Ute Hock schrieb:

    Ich habe beide Beiträge mit Interesse gelesen. Volltreffer wieder mal.

    Dieser Irrtum, der sich hier einstellt, ist fatal. Man wiegt sich in Sicherheit bzw. denkt an Spontanheilung, wenn ein Lauf mal schmerzfrei verläuft. Sogar Stunden später ist noch alles in Ordnung und dann in der Nacht stellen sich Schmerzen ein. Es ist, als würde sich da die Sehne verkürzen.

    Warum sagt einem so was sonst niemand. Meine Schmerztoleranz ist ausgeschöpft, ich mag nicht mehr, aber auf mein Laufen ganz verzichten, unvorstellbar.

    Werde gleich morgen einen Termin in Ihrer Sprechstunde vereinbaren.

    Mit hoffnungsvollen Grüssen

    Ute Hock

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